Lexikon der Tugenden: Dankbarkeit

Bild Lexikon der Tugenden2020 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

 

Dankbarkeit

Wie bei den Tugenden Anstand und Bescheidenheit handelt es sich bei der Dankbarkeit um mehr als nur um Höflichkeit und um gutes Benehmen. Wobei es heutzutage schon viel ist, wenn Menschen noch wissen, was sich gehört und noch Bitte und Danke sagen können. Aber Dankbarkeit ist eben nicht nur ein Wissen um gesellschaftliche Konventionen, sondern ist Ausdruck unserer inneren Haltung, unserer Gesinnung. Die Dinge des Lebens werden nicht als Selbstverständlichkeit hingenommen, sondern bewusst registriert. Danken hat also etwas mit Denken und Gedächtnis zu tun. „Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“, so lautet die Selbstaufforderung des Psalmendichters (Ps 103, 2). Manchmal muss man wirklich seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, um schöne Erlebnisse wieder ins Bewusstsein zu rufen. „Seid dankbar in allen Dingen“, schreibt Paulus im Thessalonicherbrief (5, 18). Hier wird deutlich, dass wir es mit einer tief verinnerlichten Lebenshaltung zu tun haben, die alles Geschehene im Leben als Geschenk versteht. Auch hier beachte man den sprachlichen Zusammenhang.

Im Gegensatz dazu gibt es Menschen, die das ganz anders sehen: „Man bekommt im Leben nichts geschenkt, man muss sich alles hart erarbeiten; und was ich erreicht habe, ist meine Leistung, ist ausschließlich mein Verdienst.“ Wem gegenüber oder wofür sollten sie also dankbar sein? Diese Menschen haben eine ganz andere Denkweise. Sie wollen niemandem verpflichtet sein und schon gar nicht bei jemandem in Schuld stehen. Sie haben nichts gutzumachen. Und was sie bekommen und besitzen – „möchte bitteschön auch sein. Andere haben das auch und viele haben noch viel mehr…“

Aber die Dankbaren denken in die andere Richtung: Andere haben viel weniger. Sie registrieren sehr wohl das Nicht-Selbstverständliche: Die Familie und liebe Mitmenschen, die Wohnung, das saubere Wasser, den Frieden, die geordneten Strukturen im Land und natürlich die Gesundheit, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Diese Menschen sind angenehme Zeitgenossen. Sie mäkeln und nörgeln nicht permanent herum. Und Bitterkeit, die jede Atmosphäre vergiftet, werden wir bei ihnen schon gar nicht antreffen.

Die höchste Form der Dankbarkeit ist die, wie sie der Talmud fordert: Das Danken können für das Schlechte, so wie es auch im Buch Hiob steht: „Haben wir Gutes empfangen von Gott, sollten wir das Böse nicht auch annehmen?“ (Hiob 1, 10) Diese Haltung ist allerdings ein schwerer innerer Weg der Reife, steinig und mühsam, und hat viel mit Demut zu tun. Demut, eine weitere Tugend, die im nächsten Monat vorgestellt werden soll.  

Gundolf Lauktien