Lexikon der Tugenden: Pflichtbewusstsein

Bild Lexikon der Tugenden2020 und 2021 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

Pflichtbewusstsein

Das Pflichtbewusstsein ist auf den ersten Blick eine unbequeme Tugend. Sie hat so etwas unangenehm Forderndes. Sie klingt nach zwanghaftem Müssen und nach preußischem Drill, was ja auch irgendwie stimmt. Denn die typisch preußischen Tugenden waren Fleiß, Gehorsam, Haltung (Selbstbeherrschung), Sparsamkeit und eben die Pflicht. Diese Tugend löst sicher keine guten Gefühle aus. Wie oft fühlt man sich verpflichtet zu einem Anruf oder einem Besuch, Weihnachten Karten zu schreiben oder sich für ein Geschenk zu bedanken. Immanuel Kant hat besonders dieser Tugend seinen Stempel aufgedrückt: Sie möge bitteschön bei Wohltätigkeiten nicht um des Lobes und der Anerkennung willen, auch nicht zur eigenen Freude oder Zufriedenheit, sondern einzig und allein aus Pflichtgefühl heraus geschehen. Dieser Ansatz gipfelt schließlich in den „kategorischen Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ So manchem vergeht dabei alle Lust auf Pflicht.

Dabei hat dieser Begriff von seinem Ursprung her gar nicht so etwas schwerwiegend Forderndes. Pflicht kommt nämlich von „Pflegen“, und das bedeutet betreuen, (um)sorgen, sich kümmern, sich für eine Person oder eine Sache einsetzen. Was mir lieb ist, z. B. der Garten, werde ich „hegen und pflegen“.

Ganz allgemein unterscheidet man zwischen der sachlichen und der moralischen Pflicht. Die sachliche bezieht sich auf die Einsicht in unabänderliche Gegebenheiten, z. B. auf die Arbeit im Berufsleben. Wenn ich keinen Ärger will, dann werde ich pünktlich zur Arbeit gehen und meine Aufgaben gewissenhaft erledigen und zwar als schlichte Selbstverständlichkeit. Denn ich weiß, dass ich gar keine andere Wahl habe und mein Handlungsspielraum begrenzt ist. Bei der moralischen Pflicht geht es um mehr. Sie hat viel mit unserem Gewissen und unserem Verantwortungsbewusstsein zu tun. Wenn ich einem Notleidenden helfe oder jemanden am Krankenbett aufsuche, dann tue ich es nicht, um der Pflicht zu genügen, sondern um des Menschen willen. So wie Jesus im ähnlichen Zusammenhang sagte: „Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ (Mk 2, 27)

Menschen mit einem moralischen Pflichtbewusstsein sind rar geworden. Deswegen fallen sie positiv auf, weil man sich auf ihre Zuverlässigkeit, Umsicht und auf ihr Verantwortungsbewusstsein hundertprozentig verlassen kann. Das ist ein hoher Wert! In einer Zeit, in der mehr die individuelle Freiheit, Unverbindlichkeit und die Beliebigkeit betont werden, ist die Tugend des Pflichtbewusstseins gefragter denn je.

Gundolf Lauktien