Lexikon der Tugenden: Demut

Bild Lexikon der Tugenden2020 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

 

Demut

Die Demut, sie gilt als die christlichste unter den Tugenden, und vielleicht verknüpfen deswegen viele mit ihr keine guten Assoziationen. Demut, das klingt nach Unterwürfigkeit, Buckeln und Kriechertum. Der moderne Mensch will sich aber nicht wegducken. Heutzutage sind Selbstbewusstsein und Darstellungsvermögen gefragt. Da passt die Demut nun gar nicht zum modernen Menschen. Außerdem wittert man bei dieser Lebenshaltung Heuchelei und Verschlagenheit. Die Tiefenpsychologie hinterfragt kritisch, ob nicht der Demütige in Wirklichkeit ein Hochmütiger ist. Schon Christian Fürchtegott Gellert beschrieb entlarvend den „stolzen Demütigen“. Nein! Mit dieser Tugend will man nichts zu tun haben. Der Mensch will sich nicht zurücknehmen, er will vorankommen, erfolgreich sein und Spaß haben. Und doch geht es hier um eine Tugend, an der niemand vorbeikommt.

Der Begriff hat seinen Ursprung in „diomuoti“, was so viel wie „dienstwillig“ bedeutet. Demut ist also die Gesinnung eines Dienenden, früher einer(s) Magd/Knechtes. Magd und Knecht verbinden wir heute allerdings mit Ausbeutung und Leibeigenschaft, was sicherlich auch zutraf. Aber andererseits müssen wir bedenken, dass der Knecht im Gegensatz zum Tagelöhner gewissermaßen zur Familie gehörte. Er hatte dort seinen Platz, d. h., bei all seiner Schinderei hatte er ein Recht auf Unterkunft, Verpflegung und Entlohnung. In dieser Position war er natürlich dienend, fügsam, gehorsam, sicher auch unterwürfig und ehrfürchtig. Und doch handelte es sich nicht um eine „Sklavengesinnung“, wie Friedrich Nietzsche diese „Tugend der Christen“ abwertend bezeichnete. De und Mut bedeutet auch „drunter bleiben“. Der Dienende lebte die „Einsicht in die Unabänderlichkeit.“ Er war nun mal nicht der Bauer, der Besitzer des Hofes, sondern Knecht. Vielleicht wird jetzt deutlich, warum man mit Demut heute nicht viel anfangen kann. Es gibt Menschen, die mit Unabänderlichkeiten ihre Probleme haben, z. B. dass sie eben „nur“ Mitarbeiter sind und nicht Chef. Sie rebellieren innerlich und lehnen sich permanent gegen jede Form von „Obrigkeit“ auf. Sich einfügen oder gar unterordnen fällt ihnen schwer. Deswegen wissen sie auch immer alles besser. Am liebsten würden sie gern selbst den Chefposten erklimmen. Dann hätte sich jede Form von drunter bleiben erübrigt. Sind sie dazu aber nicht in der Lage, bleibt es beim Sticheln und Piesacken.  

Richtig schwierig wird es mit biologischen, genetischen Gegebenheiten, wie z. B. Aussehen, Körperbau, mehr oder weniger vorhandene Begabungen, chronische Erkrankungen, Behinderungen oder ganz einfach nur Beschwernissen des Älterwerdens. Spätestens hier zeigt sich, ob ich mich diesen mir gesetzten Grenzen füge, drunter bleibe, aushalte und diese Einschränkungen vor mir selbst eingestehen und annehmen kann. Wir merken, das hat nichts mit Kleinmachen zu tun, ganz im Gegenteil, dazu braucht man Mut, denn das Zugeben eigener Schwächen ist nicht jedermanns Sache. Doch die Demut bewahrt uns vor Selbstüberschätzung und erst recht vor Hochmut. So buckelt der Demütige auch nicht, sondern er fügt sich mit Ehrfurcht dem Unabänderlichen. Ehrfurcht, eine weitere Tugend, die im nächsten Monat vorgestellt werden soll.

Gundolf Lauktien