Lexikon der Tugenden: Güte

Bild Lexikon der Tugenden2020 und 2021 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

Güte

Die Güte zählt zu den „Früchten des Heiligen Geistes“. Nach Galater 5, 22 fügt sie sich in die Reihe weiterer Tugenden - wie Liebe, Freundlichkeit, Friedfertigkeit und Sanftmut – nahtlos ein. Und Luthers reformatorisches Verdienst bestand darin, dass er die Gerechtigkeit Gottes nicht in der Unnachgiebigkeit und Strenge erkannt hat, sondern in diesen Tugenden, eben in der Güte. Sie ist ein wesentliches Merkmal Gottes - und genau dasselbe soll auch für die Gläubigen gelten, eben als Ausdruck des Heiligen Geistes. Nun ist Güte ein sehr allgemeiner Begriff, der am besten mit weiteren Synonymen zu erklären ist, z.B. mit Milde, Nachsicht, Verständnis, Weitherzigkeit und Wohlwollen. Gut und Güte sind vom Wortstamm wie auch vom Inhalt her miteinander verwandt: Der gütige Mensch sieht in seinem Gegenüber nicht zuerst das Negative, das Kritikwürdige, sondern das Gute. Wenn das im Alltag immer so einfach wäre. Nehmen wir z. B. den Generationskonflikt, bei dem man sich aneinander reibt und übereinander ärgert. Die Jungen regen sich über die Alten auf, weil sie rückwärtsgewandt, verknöchert und weltfremd wären. Die Alten beklagen, dass die „Jugend von heute“ respektlos, undankbar und rücksichtslos sei. Natürlich kommt das eine wie das andere Fehlverhalten vor. Aber die Güte kann darüber großzügig hinwegsehen. Sie zeigt Verständnis, dass ein altgewordener Mensch mit seiner Lebenserfahrung nicht jede Neuheit sofort bejubelt, sondern erst einmal Bedenkzeit braucht. Umgekehrt erinnert sich der alte Mensch an seine eigene Sturm- und Drangzeit und kann so manches Unausgegorene der jungen Leute mit Verständnis und Nachsicht stehen lassen. Nicht umsonst spricht man von der Altersgüte, die so mancher Heißsporn aber erst allmählich erlernen musste. Der gütige Mensch weiß um die Eigenarten und Unarten, die jeden Menschen mehr oder weniger ausmachen. Aber er redet nicht darüber, erst recht lästert und verurteilt er nicht andere, schon gar nicht in deren Abwesenheit. Diese Tugend erinnert uns an den eigenen „Balken im Auge“, damit der „Splitter im Auge“ des anderen uns nicht ärgert (Mt 7, 3ff). Eine innere Haltung, die schon durch unsere Blicke zum Ausdruck kommt, durch unsere Wortwahl, den Klang der Stimme, durch Gestik und Mimik. Vor allem aber ist sie eine Einladung. Sie lockt auch beim anderen das Gute hervor. Der gütige Mensch zeigt seinem Gegenüber, ich bin weder gleichgültig ignorant noch reserviert, weder ablehnend noch misstrauisch und schon gar nicht aggressiv. Nein, ich bin dir gut und wohlgesonnen. Ich will mit dir im Guten auskommen. Vielleicht waren Antoine de Saint-Exupéry und Janusz Korczak mit ihrer Lebensleistung typische Vertreter von Menschen voller Güte.

Gundolf Lauktien