Lexikon der Tugenden: Tapferkeit

Bild Lexikon der TugendenHilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

Tapferkeit

Die Tapferkeit ist neben der Weisheit, Gerechtigkeit und Mäßigung die vierte der antiken Kardinaltugenden. Ursprünglich galt sie den Soldaten, (Kampf-) Sportlern und Gladiatoren. Ebenso sprach man besonders mutigen Männern diese Tugend zu. Man denke an Homers Epos von Odysseus, wie dieser unerschrocken den riesenhaften Kyklopen trotzte. Und in der Welt der Märchen gab es gar einen, „der auszog, um das Fürchten zu lernen“. Bei diesen Beispielen ging es aber mehr um eine furchtlose Verwegenheit, um ein tollkühnes Draufgängertum, bei dem die Grenze zur unüberlegten Vermessenheit immer mal schnell überschritten werden kann. Tapferkeit heißt nämlich nicht Furchtlosigkeit. Jesus sagte: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Joh 16, 33) Gerade die Überwindung der Angst, das Stehvermögen, mit dem die eigene Überzeugung trotz aller Widerstände und Anfeindungen vertreten wird, zeichnet den Tapferen aus. So waren es vor allem die Märtyrer unter den ersten Christen, die für ihren Glauben litten und in den Tod gingen und die deswegen „beim Volk“ Anerkennung und Bewunderung fanden. Tapferkeit hat also viel mit Standhaftigkeit und konsequentem Handeln zu tun; man kann sogar sagen, weniger mit Mut. Denn Mut besitzt man, Tapferkeit hingegen muss erworben, manchmal hart erarbeitet werden, eben weil ein Standpunkt, eine Überzeugung erst durch längeres Abwägen von Für und Wider Zeit zum Reifen braucht. Deswegen, so meine ich, wird z.B. Sophie Scholl, deren Hinrichtung (22.2.43) sich zum 70. Mal jährte, weniger mutig, dafür umso tapferer gewesen sein. Ich bin mir sicher, dass auch sie Angst vorm Tod hatte. Aber gerade die Überwindung der Angst, die Überwindung aller Widerstände ist das Charakteristische an dieser Tugend. Wir kennen das aus dem normalen Familienleben, wenn nach einem Zahnarztbesuch mit schmerzhaftem Bohren oder Zahnziehen die Mutter zu ihrem Kind sagt: „Du warst aber tapfer.“ Das bedeutet, das Kind hat die schwere Situation durchgestanden. Es ist eine enorme Leistung, wenn Menschen mit schweren Belastungen oder gar Schicksalsschlägen sich dem Lebensschmerz stellen und ihm nicht ausweichen, indem sie ihn verdrängen, nicht wahrhaben wollen oder betäuben. Denn das Gegenteil von Tapferkeit ist Feigheit. Leider gehört zum Wesen des Menschen genau diese Tendenz, unangenehmen Situationen auszuweichen und den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Opportunisten nennt man sie in der Politik. Umso mehr brauchen wir Weisheit, um in einer immer komplizierter werdenden Welt Recht und Unrecht, Wirklichkeit und Schein voneinander unterscheiden zu können, um für die Wahrheit, für jede gerechte Sache tapfer einzustehen.

Gundolf Lauktien