Lexikon der Tugenden: Wandlung

Bild Lexikon der TugendenDie letzten Jahre waren geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

Wandlung

Die Wandlung ist vielleicht die ungewöhnlichste von allen Tugenden und doch ist sie eine der wichtigsten, wenn unser Leben gelingen soll. Man könnte diese Tugend auch als Verwandlung bezeichnen, klingt aber ein bisschen märchenhaft; oder Veränderung, was wiederum etwas Profanes hat. Wie dem auch sei, wir werden im Laufe unseres Lebens zum einen mit der unausweichlichen, quasi schicksalhaften Wandlung konfrontiert: wenn wir geboren werden, heranwachsen und ins Leben hineingehen. Unzählige Herausforderungen durch Kindergarten, Schule, Gemeinde, Beruf, Ortswechsel und Familie warten auf uns. Vor allem aber geschieht innerpsychisch Entscheidendes mit uns. Die äußeren Veränderungen sollen uns auch charakterlich erwachsen und mündig werden lassen. „Sie ist schon sehr reif für ihr Alter“, kann man manchmal hören; genauso aber auch: „Er ist irgendwie ein Kindskopf geblieben“, über jemanden, der nie richtig erwachsen wurde. Nichts gegen „das Kind im Manne“, nichts gegen ein kindliches Gemüt, aber es gibt Menschen, die in ihrer geistigen Entwicklung stehengeblieben sind. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun. Ich habe hochgebildete Akademiker kennengelernt, die sich in manchen Situationen peinlich kindisch verhielten. Es gibt Menschen, die bei bestimmten Themen unsachlich drauflos reden mit Formulierungen, die man bei ihnen schon vor 20 Jahren gehört hat. Andere nehmen Sachkritik immer gleich persönlich, sind beleidigt, schmollen oder bocken wie kleine Kinder. Das heißt, hier fand keine Weiterentwicklung statt, hier ist die Wandlung zu einer reifen Persönlichkeit nicht geglückt – und das im Sozialverhalten, charakterlich wie geistlich. Genau das beklagt der Apostel Paulus bei einigen Personen in Korinth (1. Ko 3,1) und fordert, dass wir als erwachsene Christen das Unmündige, Kindliche ablegen. (Gal 4,3/Eph 4, 14).

Und schließlich die schwerste Wandlung, die jedem Menschen mit dem Altwerden bevorsteht: das Nachlassen der Kräfte, gesundheitliche Beschwerden, Einsamkeit, Gedächtnisverlust und der näher rückende Tod. Wohl denen, die das alles mit Geduld und Würde tragen, ohne Anklage, Resignation und Bitterkeit. Gut, wenn man rechtzeitig gelernt hat, diese letzte Phase anzunehmen, quasi zu integrieren. Diese Menschen konnten so Frieden schließen mit den Höhen und Tiefen ihres Lebens, auch mit den Ungerechtigkeiten, Kränkungen und Verletzungen. Was früher ärgerlich und nervig war, beurteilen sie nun mit Güte und Gelassenheit. Und, was vielleicht am schwersten ist, sie haben sich ausgesöhnt mit den eigenen Abgründen und Irrwegen; mit dem, was nicht gut war, und letztlich auch mit dem, was ihnen an Lebensglück und Freude versagt geblieben ist. Aber die Wandlung zu einem in sich ruhenden, weisen Menschen konnten sie Schritt für Schritt erreichen.

Gundolf Lauktien