Lexikon der Tugenden: Zivilcourage

Bild Lexikon der TugendenDie letzten Jahre waren geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun.

Mit diesem Teil endet die Fortsetzungsreihe Lexikon der Tugenden.

Zivilcourage

Die Zivilcourage klingt wie eine moderne Tugend, was sie aber nicht ist. Schon Otto von Bismark beklagte, dass es selbst achtbaren Leuten zu oft an Zivilcourage fehle. Ursprünglich kommt dieser Begriff aus dem Französischen: „courage civique“, was „staatsbürgerlicher Mut“ oder „Bürgermut“ bedeutet. Aber diese Tugend ist natürlich viel älter. So prangerte der Prophet Amos die soziale Ungerechtigkeit in Israel an und Jesus erzählte das Gleichnis vom „barmherzigen Samariter.“ Doch um jedes Missverständnis auszuschließen: Wer heutzutage einer „hilflosen Person“, die auf der Straße liegt, hilft, hat noch keinen Bürgermut bewiesen, sondern lediglich seine Bürgerpflicht getan. Sonst wäre es „unterlassene Hilfeleistung“, und die ist strafbar. Zivilcourage ist aber mehr. Sie beginnt dort, wo gesetzliche Vorschriften enden, z. B. durch das Eintreten für einen gemobbten Kollegen; das Beistehen einer Frau, die in der Bahn belästigt wird; den Mund aufmachen bei entwürdigenden Äußerungen; eine Kuchen- oder Kleiderspende für Asylanten; die Teilnahme an einer Demonstration für eine gerechte Sache … Die Liste kann beliebig verlängert werden. Entscheidend ist das Aufstehen für Ausgegrenzte, Benachteiligte und Schwache (vgl. Spr 31, 8+9 oder Mt 5, 6). Der Knackpunkt besteht freilich darin, dass ich nicht handeln muss. Mir passiert nichts, wenn ich mich weg ducke und ruhig verhalte, wie das allzu oft geschieht. Wer Zivilcourage besitzt, wird nicht wegsehen, sondern handeln. Das heißt, diese Tugend kommt nie im Stillen, sondern immer öffentlich und sichtbar zur Geltung, auch auf die Gefahr hin, dass man durch das mutige Einschreiten Nachteile erleidet. Unverständlich und geradezu beschämend ist es, dass die Kirche, gleich welcher Konfession, in ihrer langen Geschichte so wenig Zivilcourage gezeigt hat und sich opportunistisch verhielt. Dabei gab es schon zaghafte Ansätze mit der Armutsbewegung im Mittelalter. Deutlicher wurden Karl Barth, der die „ewig neutrale Kirche“ kritisierte und Dietrich Bonhoeffer, der die „Kirche für andere“ forderte. Ganz in diesem Sinne setzte die „Theologie der Befreiung“ in Mittel- und Südamerika hoffnungsvolle Achtungszeichen. Hier kümmerte man sich wirklich um die Armen und Entrechteten. Hier setzte man sich den Militärdiktaturen mutig zur Wehr – siehe das Leben von Erzbischof Oscar Romero. Aber dieses Pflänzchen will nicht mehr so recht wachsen, denn seit einigen Jahren haben charismatische Freikirchen mit einem stark verinnerlichten Glauben vermehrt Zulauf; erklärbar, denn diese Frömmigkeit ist bequemer. Und doch stellt die Zivilcourage gerade für Christen eine Herausforderung dar, weil die vielen Beispiele in der Bibel, besonders die Worte und Taten Jesu, uns Mahnung und Ermutigung bleiben.

Gundolf Lauktien