Lexikon der Tugenden: Besonnenheit

Bild Lexikon der Tugenden2020 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

 

Besonnenheit

Die Besonnenheit gehört nach Platon eigentlich zu den vier antiken Kardinaltugenden, und zwar an Stelle der Tapferkeit, neben der Weisheit, Mäßigung und Gerechtigkeit. Denn das Gegenteil dieser Tugend ist nicht nur die Unbesonnenheit, sondern auch die Impulsivität, die Unbeherrschtheit, der Leichtsinn und das unüberlegte Reden und Handeln. Interessant ist ja, dass die meisten Tugenden alle weiblich sind. Und dem Weiblichen wird in der Regel ein größeres Maß an Gefühl und Intuition zugeschrieben als den Männern. Frauen nehmen die Welt nicht nur per Verstand wahr, sondern auch mit ihren Sinnen. Das bedeutet, Besonnenheit und Besinnung sind nicht nur sprachlich miteinander verwandt, sondern auch inhaltlich. Ein besonnener Mensch wird bei einem Konflikt, bei einem Streitgespräch sich nicht zu unüberlegten Äußerungen hinreißen lassen, die ihm dann später leidtun. Auch wird er bei einer Panne, bei einem Missgeschick nicht gleich impulsiv reagieren, quasi aus der Haut fahren und herumtoben. Manche können ja wie von Sinnen gegen sich selbst wüten. Aber das sind Extreme. Im alltäglichen, ganz normalen Leben sind uns bestimmt schon Menschen begegnet, die unbedacht drauf los geredet haben. Man hatte den Eindruck, dass sie erst reden und dann überlegen. Das führt mitunter dazu, dass sie beim zehnten Satz genau das Gegenteil von dem Sagen, womit sie begonnen haben. Solange es sich um eine harmlose Plauderei handelt, kann das ja ganz amüsant sein. Aber bei einem intensiven Gespräch, schwerwiegenden Fragen, bei Sachthemen, wo es um wichtige Entscheidungen geht, ist ein unbesonnener Gesprächspartner mehr als anstrengend, eben weil er nur sinnloses Zeug beisteuert. Ein besonnener Mensch hat hingegen alle seine Sinne beisammen. Er ist ein umsichtiger Beobachter, ein aufmerksamer Zuhörer, der sein Gegenüber wirklich verstehen will. Er kann warten und durchdenkt seinen Beitrag, bevor er antwortet. Nicht die schnelle, dazwischen gehende Rede ist seine Stärke, sondern seine Ausgewogenheit. Er wählt seine Worte wohltuend mit Bedacht. Wir merken, dass die Besonnenheit viel mit der Gelassenheit zu tun hat. Aber während die Gelassenheit mehr emotionale Anteile besitzt, ist die Besonnenheit stärker in der Vernunft verankert. Deswegen reagieren besonnene Menschen in heiklen oder brenzligen Situationen auch nicht kopflos, sondern mit Übersicht und klarem Sachverstand. Und nicht zuletzt: Bei Kritik reagieren sie nicht empfindlich oder gleich gegenhaltend, sondern auch hier sind sie zu einer nüchternen Reflexion, Selbstkritik und Einsicht fähig. Nicht umsonst ermuntert Paulus in seinen Briefen mehrfach, dass wir „allem ungöttlichen Wesen absagen“ und „besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben.“ (Titus 2, 12)          

Gundolf Lauktien