Lexikon der Tugenden: Glaube
2020 und 2021 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.
Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“
Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.
Glaube
Der Glaube ist zuerst einmal eine religiöse Tugend. Glaube, Liebe und Hoffnung bildeten eine christliche Antwort auf die antiken Kardinaltugenden. Nach Hebr. 11, 1 ist der Glaube „eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Gemeint ist der Glaube an Gott, den man nicht machen kann. Niemand kann sich vornehmen: „Ab jetzt glaube ich an Gott.“ Das funktioniert nicht. Glaube ist und bleibt ein Geschenk, das der eine bekommt und der andere nicht. Warum das so ist, ist letztlich nicht zu beantworten und wäre ein neues Thema. Bei der zweiten Bedeutung geht es darum, dass man diese Tugend einüben kann: “So wendet alle Mühe daran und erweist in eurem Glauben Tugend und in der Tugend Erkenntnis, in der Erkenntnis Mäßigkeit, in der Mäßigkeit Geduld, … in der Frömmigkeit brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe die Liebe zu allen Menschen.“ (2. Petr 1, 5-7) Hier kommt die grundsätzliche Bestimmung jeder Tugend zum Ausdruck: der menschliche, rücksichtsvolle und hilfsbereite Umgang miteinander. So kann diese Tugend sich z.B. darin äußern, dass ich jemanden in einer prekären Lebenssituation sage: „Ich glaube an dich, du schaffst das!“ Dieser Zuspruch macht nicht nur Mut, er gibt dem Angesprochenen auch ein tiefes Gefühl des Angenommen-Seins und der Wertschätzung: Ich werde verstanden, hier vertraut mir jemand voll und ganz! Und das stärkt auch das eigene Selbstverstrauen. In diesem Zusammenhang die dritte Bedeutung: Der Glaube an sich selbst. Diese Form des Glaubens hat ihren Ursprung im sog. Urvertrauen, bereits erworben, als wir noch gar nicht das Licht der Welt erblickt haben. Hat das kleine Wesen schon im Mutterleib gespürt, dass es gewollt und geliebt ist, und setzte sich diese Erfahrung in den ersten Lebensmonaten fort, dann konnte sich dieses Urvertrauen nach und nach entwickeln. Mit den immer wiederkehrenden positiven Erfahrungen, umsorgt, gepflegt, beschützt, liebkost und gestillt zu werden, bildetet sich eine Beziehung zur Bezugsperson, in der Regel zuerst zur Mutter, heraus. An Stelle der einstigen Symbiose im Mutterleib wächst nun Beziehung in Form von Glaube und Vertrauen: Auf diesen Menschen kann ich mich verlassen; da habe ich nicht den geringsten Zweifel und bin voller Zuversicht, dass er es gut mit mir meint. Menschen mit dieser Prägung stehen der Welt und dem Leben grundsätzlich positiv gegenüber, getragen von einem tiefen Gefühl der Geborgenheit und des gut Aufgehoben-Seins in ihrer Lebenswelt. Sie glauben zuerst einmal an das Gute im Menschen, und so begegnen sie ihrem Nächsten auch, er ist ihnen gut, ohne dabei gleich naiv und leichtgläubig zu sein. Und mit dieser Tugend meistern sie Krisen, Rückschläge und schwierige Lebenssituationen tatsächlich leichter. Erinnert sei an das Wort Jesu: „Steh auf und geh, dein Glaube hat dir geholfen!“ (Lk 17, 19)
Gundolf Lauktien